
Teil 3: Die Gewalt
Es gibt eine Vielzahl Aussagen und Thesen zur Gewalt. Es gibt z.B. die Vermutung, dass eine lange Friedenszeit ungewöhnlich ist und unvermeidlich zu einem Krieg führen muss, weil der Schrecken des Krieges verblasst und die Machbarkeit eines Sieges dadurch vorstellbar wird. Es gibt aber auch Befürchtungen, dass es zu jedem Ding und Thema ein Gegenpol geben muss, der es am Leben erhält. Um etwas wert zu schätzen, muss es einen Verlust geben. Um Frieden zu wahren und zu halten, muss die Existenz eines Krieges, also auch seine Gewalt, spür- und erlebbar sein, oder in so unmittelbarer Nähe, dass man sie wahrnimmt. Das alles ist jedoch keine Erklärung, warum Superhelden vor ca. 50 und mehr Jahren eher Faustkämpfer waren und in den Comics kein Blut floss. Aber auch kein Sperma oder sonstige Körperflüssigkeiten.
Wer im neuen Jahrtausend ein Comic aus dem DC und Marvel-Verlag in die Hände nahm, musste damit rechnen, mit Tod und Gewalt konfrontiert zu werden, wie es im sogenannten Golden-Age der Helden nicht üblich war. Die Gründerjahre waren sozusagen die unschuldigen Kinderschuhe einer eskalierenden moralischen Bewußtseinsveränderung. Die Konzeption eines Superhelden führt natürlich unweigerlich zu einer Problemlösung, die einfach ist und auf Stärke und Aktion beruht. Dennoch waren die Helden der ersten Generation stark an ihren literarischen Vorbildern angelehnt, die unter anderem auch aus Namen wie Sherlock Holmes bestanden. Batman, der heute als kompromisslos und hart erscheinen möchte, war in erster Linie ein Detektiv. Spiderman war ein Nerd, ein Außenseiter, ein genialer Schüler, der mit seinen natürlichen Fähigkeiten und Hirnleistungen die Flüssigkeit erfand, die ihm das Netzbauen ermöglichte. Grundsätzlich war damit klar dargelegt: Nur die Intelligenz machte den Helden zum Helden. Die Fantastischen Vier hatten Mr. Fantastic, Reed Richards, der in erster Linie Wissenschaftler war.
Iron Man ist tatsächlich ein genialer Erfinder, Hulk ist die neue Version einer Dr. Jekyll und Mr. Hyde Geschichte. Auf der einen Seite Bruce Banner, der Wissenschaftler, auf der anderen der tumbe Hulk. Thor ist ein Arzt. Daredevil ein Anwalt. Die ersten Helden waren oftmals Wissenschaftler, die durch Unfälle, Selbstversuche oder verunglückte Rettungsversuche zum Opfer eines kosmischen Unglücks wurden. Erst dadurch erlangten sie ihre Fähigkeiten.
Helden wie Green Lantern überrascht dagegen sehr viel später mit Fähigkeiten, die eher physischer Natur waren. Das zeigte auch eine Variation der Lösungswege. Green Lantern war Testpilot, alle späteren Varianten zeichneten sich auch eher durch körperliche Fitness und Präsenz aus. Während Barry Allen aka Flash ein Wissentschaftler aus der polizeilichen Forensik war, Green Arrow im Zeitgeist ein Sozialarbeiter, Thor ein behinderter Arzt, wandelte sich um den Jahrtausendwechsel das Bild und auch im Batman-Universum zeigte sich bei den Sidekicks, wovon es erstaunlicherweise sehr viele gibt, dass Athletik genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger ist, als geniale, wissentschaftliche Brillianz. Somit sind die intellektuellen Helden nicht in den Hintergrund getreten, aber ihre Popularität hat die eher brutaleren Varianten nach vorne geholt. Deadpool, Wolverine, Punisher und ähnliche, gehören heute zu den umsatzstärksten Figuren, die der Marvelverlag zu bieten hat. In dieser Konsequenz, wie der Marvelverlag hier Reihe um Reihe um diese Figuren aufbaut, zog DC nicht nach, aber schuf durchaus ein eigenes Spektrum aus ähnlichen Figuren, die in einem Zwischenfeld zwischen Gut und Böse agieren. Ein Beispiel sei Guy Gardener, eine Inkarnation der grünen Laterne, die immer mal wieder hervorgeholt wird, wenn einfache Lösungen gesucht werden. Dazwischen schickt man ihn gerne mal in Rente.
Pauschal gesagt und vereinfacht ausgedrückt, hat sich die Gewalt potenziert, und spricht damit auch mehr den erwachsenen Leserkreis an. Bei der Frage, ob das Huhn oder das Ei zuerst da war, fängt es an schwierig zu werden. Sicherlich muss berücksichtigt werden, dass die einstigen Kinder heute aus ihren Schuhen entwachsen sind und einer Bildsprache folgen, die altersgerecht ist, aber sich auch an Kino und Fernsehen orientiert. Comics waren schon immer ein Medium, dass sich in der Tradition und Folge dem Film sehr nahe sah, diesen aber in seinen Dimensionen sprengen konnte. Das Comic, vor allem das Superhelden-Genre, durfte immer noch ein bißchen mehr übertreiben wie der Film, aber es durfte nicht dahinter zurückstehen. In diesem Konkurrenzdruck war es nur logisch, dass die Bildsprache entsprechend übernommen wurde, und damit auch die filmische Gewalt ihren Niederschlag in den Comics finden musste. Der Leserkreis goutierte das, die Zeit war die richtige dafür.
Zumal viele Zeichner und Autoren auf verschiedenen Wegen in renommierte Verlage gelangen. Um ein Marktchance zu haben, waren Independent Verlage in ihrer Wucht und Aussage schon immer etwas ausgelassener und wilder in der Darstellung. Zwar entsprach die zeichnerische Qualität nicht dem Standard der großen Player, aber mit einer Festigung und Vertiefung der Praxis wurden die Zeichner dieser kleinen, unabhängigen Verlage langfristig auch für große Verlage interessant und brachten damit ihre Visionen, Stilrichtungen und Ausdrucksweisen in die großen Häuser. Dadurch wurden die Grenzen überprüft und neu gezogen. Film, Konkurrenzverlage, kommerzieller Druck und Leserkreis ergaben damit eine Mischung, die zu einer Neuorientierung führen mussten, und das erstaunliche ist, dass im konservativen Stimmungsbild, diese Comics immer noch Kinderkram sind. Das sind sie schon lange nicht mehr.
In dem Versuch ihre Nische zwischen Film, Computerspiel und Nachrichtenlage zu finden, haben Superhelden das Kinderzimmer verlassen und suchen seitdem nach einer Lösung wie sie eine neue Zielgruppe erobern können, ohne ihre alte zu verstören. Sie befinden sich damit in einem ähnlichen Dilemma wie große Modemarken, die sich einer Altersgruppe verpflichtet fühlten und dabei feststellen mussten, dass diese irgendwann ausstirbt.
Das Problem an eskalierenden Gewaltspiralen, die sich an Genregrenzen abarbeiten, ist der Schock, der bei einer gewissen Regelmäßigkeit zu einer Gewöhnung führt und seine Wirkung verliert. Gutes Beispiel dafür ist die Serie „Preacher“ aus dem Hause Vertigo, die gerne und immer wieder Grenzen auslotete. Als man sah, das man durchaus auch mal Gesichter abziehen kann, und das zwar schockiert aber auch zu Gesprächsstoff führt, war es nur eine Frage der Zeit bis man den vermeintlichen Mainstream, z.b. Batman ebenfalls mit solchen Bildern konfrontiert. Gerade Batman ist eine der Serien, die sukzessiv in einen Strudel der Bilder gezogen wird, die schwerlich zu toppen sind und nun zu einer seltsamen Orgie namens „Metal“ führten, in der bösartige Batman-Varianten aus Parallelwelten einfach mal heftigst die Sau rauslassen. Auf Teufel komm raus. Wofür auch immer.
Während gleichzeitig kindgerechte, ultrasaubere Zeichentrickfiguren den Geist der frühen Jahre beschwören und nochmal dort die zukünftigen Leser abgreifen wollen, wo man sie vermutet. Das Kinderzimmer wird beworben, der erwachsene Geldbeutel ist das Ziel. Ob es funktioniert, das wird sich noch zeigen.