Alte Geschichten, diese komische Liebe und überhaupt die Jugend

Ich habe vor einigen Tagen begonnen alte Geschichten wieder auszugraben. Und ausgraben ist wirklich das Wort, das hier passt. Gelbes Papier. Tinte, Tusche, Schreibmaschine, Nadeldrucker, Tintenspritzer, Laser.

Ich bin im Jahre 1962 geboren. Die ersten Geschichten schrieb ich bereits, als ich Sätze schriftlich formen konnte. Ich habe die schrecklichste Handschrift, die ich jemals gesehen habe. Führt kein Weg daran vorbei, mich dazu zu bekennen. Also nutzte ich Schreibmaschinen. Alle Arten von Schreibmaschinen zogen durch mein Kinderzimmer und Haushalt. Ich hatte schwere, mechanische Schreibmaschinen, Reiseschreibmaschinen, elektrische Schreibmaschinen und ich hasste diese furchtbare Kugelkopfmaschine von IBM.

Ich besass Computer, die keine Festplatten hatten und solche, die 30 MB-Platten hatten. Ich klopfte alles, was ich beschreiben konnte, voll Texte. Und nun findet sich überall beschriebenes und bedrucktes Papier. Manchmal bin ich mir nicht mal sicher, dass ich das geschrieben habe. Liest sich sehr fremd, manchmal sehr berührend. Ich habe den Eindruck ich blicke in ein fremdes Tagebuch.

Komische Liebesgeschichten, die sich spröde anfühlen und ungeschickte Menschen beschreiben, und die Ungelenktheit zum Charme erheben. Ich fürchte mich vor meinen eigenen Bandwurmsätzen. Und wundere mich fasziniert über meine Vergleiche. Manche Stellen verstehe ich nicht mehr. Und könnte sie auch nicht erklären, trotzdem geht von ihnen einen Zauber aus, der verhindert, dass ich sie verändern kann. Ich wage es kaum, alte Wortspiele, alte Klischees und ähnliches, umzuformen. Ich tue mich schwer damit, es zu überarbeiten. Doch gleichzeitig denke ich, ich muss das tun. Manchmal ist der Ton so jung, das bekomme ich ja nie wieder hin.

So ein Zweifel kriecht in den Nacken: Nehme ich mich zu wichtig, und finde nur deshalb die Schönheit in diesem alten Kram? Oder stehe ich gerade vor meinem „Werther“ und lausche meinem eigenen Punkrock aus den frühen Jahren, den ich heute nicht mehr spielen könnte? Ist das wertvoll oder kann das weg?

Solange es nur die Schreibmaschine gab, schrieb ich analog am Stück vor mich hin. Ich arbeitete mich an der Idee ab und legte Seite auf Seite. Ich kam gar nicht zum überarbeiten, das war pure, harte Handarbeit. Die Seiten sammelten sich in Kisten, auf meinem Schreibtisch, wurden das Opfer von Kaffee und Zigaretten (ich rauchte bis zu meinem 30 Lebensjahr, und hielt das für notwendig, weil Heinrich Böll auch geraucht hat. Und überhaupt alle deutschen Schriftsteller der sechziger und siebziger Jahre). Und meine Handgelenke schmerzten.

Ich saß in der ersten Wohngemeinschaft, in einem unbeheizten Zimmer mit einer Winterjacke und klopfte auf einer Reiseschreibmaschine wütende Geschichten aus einer Szene, der ich mich zugehörig fühlte. Und immer ging es um Menschen, die ich nicht verstand, aber liebte.  Ich schrieb lange und immer über die Liebe. Heute mache ich das kaum noch, weil es immer etwas von Entblößung hat und immer etwas trauriges an sich. Liebe funktioniert in Geschichten nur, wenn sie die Melancholie eines Schmerzes mit sich bringt. Krimis sind einfacher. Bildete ich mir ein, und schrieb später mehr Krimis, die sich nicht an die Regeln halten wollten, die sich nicht um Aufklärung scheren wollten und sich keiner Moral zugehörig fühlten. Funktionierte nicht. Ich schrieb sie nicht zu Ende. Ich liess auch dreimal New York untergehen, bevor das jeder tat. Ich habe Notizbücher, eng beschrieben, mit desaströsen New York-Geschichten. Lange bevor ich dort war.

Nachdem ich in New York war, konnte kein Untergang und kein Krimi mehr dort spielen. Da war dann auch nur noch Liebe. So wie für Barcelona, oder das kalte Stockholm und vor allem New Orleans.

Städte, in denen ich war, durften hinterher nicht mehr untergehen. Und wie so vieles zuvor, vergrub ich diese Texte in Schubladen, in Kisten, in Koffer, in Schachteln und schleppte sie mit mir rum. Kein Wohnungsbrand hat mich davon erlöst. Bisher. Und immer waren sie so etwas wie eine ziemlich nervige Mahnung.  Der kleine Junge, der Teenager, der junge Erwachsene, sie alle wollen noch in mir, dass ich das Zeug irgendwie beende. Und sie alle flüstern mir zu, dass da ein Zauber inne liegt. 

Wenn ich es dann versuchsweise abtippe, dann nähere ich mich einem jungen Menschen, der viel begeisterungsfähiger, viel naiver und viel altklüger  an die Dinge heran ging. Das macht mich staunen, und dann bin ich verwirrt, und frage mich, ob ich diese Intimität, die diese Werke nun ausstrahlen (in ihrer Unvollkommenheit, frechen Ansammlung von Behauptungen und Metaphern) vielleicht für ein wunderliches Alterswerk nutzen könnte?

Und dann , ernsthaft, nehme ich noch ein Schluck Bier, schmunzle und tippe es weiter ab. Aber habe keinen Schimmer, was ich damit machen werde.

2 Replies to “Alte Geschichten, diese komische Liebe und überhaupt die Jugend”

  1. Hallo Andreas,

    dieser Text hat mich sehr berührt. Noch sind meine eigenen Werke zeitlich nicht so weit entfernt wie bei dir, dennoch frage ich mich, wie ich sie in vielen Jahren einmal sehen werde. Ähnlich wie du? Oder ganz anders?
    Auch jetzt muss ich schon schmunzeln, wenn ich in meine ersten Texte wieder lese. Oder sie machen mich fröhlich oder traurig, beim Gedanken zurück. Gerade mit meinen Gedichten geht es mir wie dir – sie sind wie ein Tagebuch und bringen mich beim Lesen zurück in einen Moment, zu dem es keinen anderen Weg zurück mehr gibt. Das macht sie zu einem wahren Schatz der Erinnerung.

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